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Volunteer Tobias Natt: „Es sind die Erinnerungen, die man behält“

Familienausflug nach Erfurt: Die Natts stellen drei Volunteers bei den TT-Finals. Vater Tobias erzählt, warum

| TTVN

Mit großer Begeisterung dabei: das Natt Trio mit Vater Tobias und den Töchtern Marika und Adèle (v.l.) ©Privat

Das schwarze Leder ist für das Alterder Schlägerhülle eigentlich noch gut in Schuss. Der silberfarbene Reißverschluss allerdings hat durch das viele Öffnen und Schließen im Laufe der Zeit sichtlich gelitten. So war die Hülle schon lange nicht mehr in Gebrauch bei Training und Punktspielen des MTV Herrenhausen in Niedersachsens Landeshauptstadt. Kein Wunder nach 33 Jahren.

Aufgehoben hat Tobias Natt sie trotzdem, verbindet er mit ihr doch etwas Besonderes. Er hatte sie am 8. April 1989 in der Dortmunder Westfalenhalle gekauft, an dem Ort und dem Tag, als Jörg Roßkopf und Steffen Fetzner Doppel-Weltmeister wurden. An Autogramme der beiden Helden war am Tag der Sensation beim Ansturm von Massen und Medien nicht zu denken. Die holte Natt sich 33 Jahre später, beim TTBL-Finale in Frankfurt am Main.

Familienausflug nach Erfurt: Die Natts stellen drei Volunteers

Dazu wäre es wahrscheinlich nicht gekommen, hätte der künftige Bezirksligaspieler und Unternehmensjurist im Bereich Windenergie sich nicht aus Neugier in seiner Heimatstadt Hannover als freiwilliger Helfer für das Final Four der Damen Anfang 2022 gemeldet. Veranstalter-Urgestein Uwe Rehbein nahm Natt ins Team auf und dem gefiel die Beschäftigung hinter den Kulissen so gut, dass er wenige Monate später bei besagtem TTBL-Finale sogar seine älteste Tochter zum ehrenamtlichen Arbeiten mit nach Frankfurt brachte. Die damals 16-jährige Adèle bekam gleich eine exponierte Rolle angetragen, bediente den Verfolgerscheinwerfer beim Einmarsch der Spieler. Außerdem war sie gemeinsam mit Vater Tobias am Eingang beim Ticketing aktiv. Beim WTT Feeder in Düsseldorf war Tobias Natt wieder als Helfer dabei. Ende 2023 folgte das WTT Champions in Frankfurt. Als er zur Premiere der Deutschen Tischtennis-Finals in Erfurt diesmal neben Adèle auch ihre drei Jahre jüngere Schwester Marika fragte, war der Familienausflug perfekt. Wegen der Schule reisten die Teenager erst am Freitag an. Tobias Natt, wie Adèle bei den TT-Finals zuständig für den Bereich Logistik und Courtservice, war als Volunteer von Mittwoch bis Sonntag im Einsatz mit einem beruflichen Zwischenspiel in Berlin am Freitag. Die 15-jährige Marika bestand ihre Volunteer-Feuertaufe im Breitensport-Team, meisterte vom großen Andrang im Außen-Fun-Park bis zum VR-Tischtennis alle Aufgaben mit großem Engagement.

Eine Tischtennis-Familie durch und durch sind die Natts nicht. Nur zwei spielen im Verein. Tobias ist mit seiner Mannschaft gerade aufgestiegen und spielt in der kommenden Saison in der Bezirksliga. Marika ist in einer Jugendmannschaft des MTV Herrenhausen aktiv. Tobias Natts Eltern waren nie Vereinsspieler. Trotzdem stand im Keller des Elternhauses ein Tischtennistisch. So machte der Sohn hobbymäßig seine ersten Schritte im schnellsten Ballsport der Welt. Die Eltern Dörte und Peter waren es auch, die den damals 13-jährigen Tobias zur WM 1989 nach Dortmund begleitet hatten. In Erfurt waren sie am Wochenende vor Ort und nutzten dafür die Freikarte, die jeder Volunteer zur freien Verwendung erhält.

Fragt man Volunteers nach ihrer Motivation, sprechen die meisten von „Familie“

Was Volunteers dazu bewege, Urlaub zu nehmen, für Anreise und Übernachtung selbst zu sorgen und bei einem Event mit anzupacken statt gemütlich auf der Tribüne die Spiele als Zuschauer zu genießen? „Du unterstützt und bist ein kleines Rädchen, dass zum Gelingen des großen Ganzen beiträgt“, erklärt Tobias Natt. „Man weiß, dass man eine Aufgabe hat. Man sieht, was gemacht werden muss, und tut es einfach. Wenn da ein Kabel auf dem Boden liegt, verklebt man es, damit niemand darüber stolpert. Anders als in meinem Beruf prüfst du keine Verträge und achtest auf jedes Wort, sondern kümmerst dich um Auf- und Abbau, dass es immer Wasser gibt, dass alles sauber ist, und leerst die Mülleimer“, fasst er seinen ehrenamtlichen Job rund um die vier Turniertage grob zusammen. „Das Meiste muss einem niemand erklären. Man guckt hin und hat den Anspruch, dass alles ordentlich ist.“ Trotz der Menge an Aktiven, der verschiedenen Altersgruppen und der beiden großen Messehallen blieb das Müllchaos aus. Die Spielerinnen und Spieler seien zivilisiert, so Natt, „da liegen auch in Halle zwei keine Bananenschalen oder Apfelreste. Einige Landesverbände haben sogar zum Sammeln ihrer Pfandflaschen eigene Mülltüten mitgebracht.“ So fiel ihm das Arbeiten leicht. „Das hat mich positiv überrascht. Der Tischtennis-Community liegt die Sportart am Herzen, und so achten die Leute auch auf die kleinen Dinge. Es war insgesamt eine sehr angenehme Stimmung“, lobt er.

Fragt man freiwillige Helfer nach ihrer Motivation, sprechen die meisten, die schon länger dabei sind, gerne von „Familie“, der „Volunteers-Familie“. Auch Tobias Natt wurde schnell ein Teil davon. Mit Katrin Krüger, Rolf Krukenberg und Henning Wolff, die die Bereichsleitung Logistik unter sich aufteilen, verband ihn schnell eine kleine Freundschaft. Sie und die anderen Volunteers will und wollte er gerne wiedersehen und neue Leute unter den insgesamt 140 freiwilligen Helferinnen und Helfern in Erfurt kennenlernen.

Tante der Lebruns, Mutter Duda und Doppel gegen Erik Schreyer

Apropos: Beim WTT Champions lernte er eine Gruppe französischer Fans kennen, was ihm nicht schwerfiel, schließlich ist Natts Frau Magalie gebürtige Französin. Die Absprache mit der Gruppe der Unterstützer von Les Bleus war schnell gefasst: "Ich unterstütze euch beim Anfeuern der Franzosen und wenn die Deutschen spielen, seid ihr auf unserer Seite." Als der harte Kern der Franzosen auf die Idee kam, für Felix Lebrun ein Lied zu dessen Unterstützung anzustimmen, vermittelte Tobias Natt sie an Hallensprecherin Julia Nestle. So gab’s den Song übers Hallenmikro und damit einen besonderen Moment für alle. „Sie haben für mich gesungen wie vorher für meinen Bruder Alexis bei den Europameisterschaften. Ich war absolut begeistert“, gab Frankreichs 17-jähriger Superstar nachher gegenüber Journalisten zu Protokoll. Und Tobias Natt kennt seitdem die Tante der Lebrun-Brüder.

Damit nicht genug: Im Publikum beim WTT Champions Frankfurt fiel ihm außerdem eine engagierte Schlachtenbummlerin mit Ratsche auf. Als er sie auf ihre Begeisterung ansprach, erzählte sie ihm, das sei noch gar nichts, er solle mal die Trommeln beim Bundesligaspiel in Bergneustadt hören und sehen. Diese Einladung hatte, wie er später herausfand, nicht irgendjemand ausgesprochen, sondern Benedikt Dudas Mutter Martina. Und so überzeugte sich drei Monate danach eine Abordnung aus Hannover von der Atmosphäre im Bergischen Land. Entsprechend feuerte Tobias Natt in der Messe Erfurt erneut Benedikt Duda an. (Zitat Natt: „Wer es gehört hat: Ich war der mit der Tröte.“). Dabei ist er kein Fan, der sich den Promis aufdrängt, wie er im Gespräch unterstreicht. Solche Dinge passierten, wenn man beim Tischtennis hinter den Kulissen tätig sei und offen auf Menschen zugehe. Bis zum späten Samstagabend etwa spielte er mit einer Gruppe Thüringer zunächst draußen am Vierertisch. Als es dafür zu dunkel wurde, ging’s im Indoor-Fun-Park weiter. „Und plötzlich habe ich gegen Erik Schreyer Doppel gespielt. Da kriegst du von fünf Aufschlägen höchstens einen, wenn er es darauf anlegt“, berichtet Tobias Natt von seiner Begegnung mit dem Cheftrainer des Post SV Mühlhausen, der in Erfurt den späteren DM-Finalisten Steffen Mengel coachte.

Zuhören, nachfragen, selbst machen: „Die Schwelle ist nicht so hoch“

Ein anderer Zufallskontakt ließ ihn sogar im vergangenen Herbst eine Prüfung absolvieren. Beim Feeder in Düsseldorf hatte er sich mit der international tätigen Unparteiischen Ana Beja-Pütz unterhalten und ist nun seit September Verbandsschiedsrichter in Niedersachsen. „Man trifft jemanden, hört zu, fragt nach und wenn es einem gefällt, macht man es selbst“, erklärt Natt. „Die Schwelle ist nicht so hoch.“ Auf seiner Rückreise von Erfurt nach Hannover hat er gleich zwei Nationale Schiedsrichter kennengelernt. An der Akkreditierung, die im Erfurter Nahverkehr als Ticket diente, erkannten die drei, dass sie zuvor alle beim selben Event im Einsatz gewesen waren.

Dass Tobias Natt seinen 49. Geburtstag, der auf den Finaltag von Erfurt fiel, nicht in Ruhe zu Hause verbringen konnte, stört ihn nicht weiter. Ehefrau Magalie überraschte ihn morgens mit einem hübsch dekorierten Frühstückstisch. Mutter und Töchter reisten früher nach Hause, er blieb bis zum Schluss. „Wenn schon, denn schon“, findet er. Und war trotz seiner Rückkehr am späten Sonntagabend am Montag gleich wieder bei der Arbeit im richtigen Leben als Jurist. "Die vier Tage merkt man schon in den Knochen, aber sie haben sich gelohnt. Zweimal im Jahr ist das völlig in Ordnung.“ Und dann sagt er einen für Volunteers typischen Satz: „Es sind die Erinnerungen von solchen Ereignissen, die man behält.“ Und die sind es wert.

Dies will er auch seinen Töchtern verdeutlichen. „Ich werde sie für das WTT Champions Frankfurt nicht aktiv ansprechen“, hat Tobias Natt sich vorgenommen. „Aber wir wollen ihnen als Eltern zeigen, welche Möglichkeiten es gibt. Dann sollen sie selbst entscheiden, ob sie es machen möchten oder nicht.“ Er lächelt. „Wenn sie sich in 20 Jahren daran erinnern und selbst als Volunteer mit ihren Kids zu irgendeiner Veranstaltung gehen, bin ich gerne wieder dabei. Falls sie ihren alten Vater dann überhaupt mitnehmen.“

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